Ist Personalauswahl heute noch zeitgemäß?

 

Wer der Meinung ist, dass Personalauswahl ein Instrument zur Reduktion von Bewerberschwemmen ist, hat meiner Meinung nach schon vor dem Fachkräftemangel den Kern dieser Disziplin nicht erfasst. Viel zu oft wird aber eben dieser Zusammenhang hergestellt. Die Schlussfolgerung „Personalauswahl sei in der heutigen Zeit überflüssig“ erscheint dadurch zunächst logisch.

Personalauswahl umfasst allerdings bei weitem mehr als aus vielen einen auszuwählen beziehungsweise stellt in meinen Augen einen ganz anderen Mehrwert dar. Bei der Personalauswahl steht nicht die Besetzung einer Stelle im Vordergrund,  sondern vielmehr das Finden eines perfekten Matchings. Die Rahmenbedingungen unter denen dieses Matching stattfindet, haben sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt. Der Markt hat sich verändert und die Kriterien ebenso. Unverändert bleibt allerdings – und dies möchte ich betonen – die Aufgabe, ein Bewerber-Stelle-Matching zu finden, welches sich nicht direkt in der Probezeit wieder auflöst.

Die aktuelle Marktlage und die Aussichten, die uns der demografische Wandel in Deutschland bietet, lassen darauf schließen, dass die ehemals sehr durch das Unternehmen geprägten Rahmenbedingungen ihre Vorherrschaft verlieren und zugunsten bewerberorientierter Kriterien in den Hintergrund treten. Gewisse fest definierte Anforderungen an Fachkenntnissen und Ausbildung sind unumstößlich – heute wie damals. Die Aspekte von Cultural-Fit, passende Arbeitsbedingungen und weiteren weichen Faktoren treten heute stärker in den Vordergrund. Stimmt die Perspektive des Bewerbers mit der Perspektive, die der Job bieten kann, überein? Muss ich den Bewerber im Prozess der Auswahl binden und begeistern? Kann ich meine Arbeitgebermarke in den einzelnen Auswahlschritten angemessen platzieren?

Es sind etliche neue Fragen, denen die Personalauswahl gegenüber steht. Hieraus resultieren neue Anforderungen an die Recruiter, die Ausführenden der Personalauswahl. Ihr Berufsbild wandelt sich und bekommt u.a. durch das Anpreisen von Stellen zunehmend vertriebliche Züge.

Aber versetzen wir uns einen Moment in eine Welt ohne Personalauswahl - letztlich eine Welt ohne Talent Management. Der Bewerber genießt eine umfassende Transparenz über alle Unternehmen und alle Vakanzen und kann die Entscheidung treffen, welche der freien Stellen am besten zu ihm passt. Alle Bewerber treffen paarweise verschiedene Jobentscheidungen – keine zwei treffen die gleiche. Potentialträger, High Potentials – sie alle legen ihre Potentiale selbst fest und bestimmen das passende Förderprogramm auf Basis ihrer Intuition.

Personalauswahl für obsolet zu erklären? Nein. Ich denke, schnell wird klar, dass es sich bei dieser Disziplin um einen Grundbaustein der Personalarbeit handelt. Ein Handwerkszeug, welches nicht nur dem Recruiter in der täglichen Arbeit dient. Inhaltlich verändert sie sich gravierend, aber das eingangs angesprochene Matching muss nach wie vor herbeigeführt werden.