Fachkräfte Recruiting bei der Deutschen Bahn - Interview mit Tina Lehmann, Head of Talent Acquisition Region Southeast und Jana Wittenberg, Referentin Grundsätze Talent Acquisition Fachkräfte
Fachkräfte sind das Thema 2018 gewesen und der Run auf Fachkräfte geht auch 2019 weiter. Obwohl beinahe allen dieser Schuh drückt, schreiben nur wenige drüber geschweige denn findet man Best Cases und pfiffige Ideen. Heute haben wir Deutsche Bahn genau zu diesem Thema im Interview. Mein alter Arbeitgeber hat hier schon einige Akzente gesetzt und verblüfft immer wieder mit erstaunlichen Kampagnen und erstklassigen Konzepten. Das Interview wurde diesmal von Steffi Maass von der HR TEC Night geführt, die sich im vergangenen Jahr mit etlichen BestCases und Konzepten für die HR TEC Nights auseinandergesetzt hat.
Ein großes Dankeschön auch an Tina Lehmann und Jana Wittenberg!
Steffi leg los!
SM: Warum liegt dir das Thema besonders am Herzen, Tina?
TL: Weil wir das Gefühl haben, dass es gerade in der Recruiterszene manchmal etwas stiefmütterlich behandelt wird. „Fachkräfte“ bezieht sich bei der DB auf die Funktionsausbildung beziehungsweise die Berufsbilder, bei denen man keinen Studienabschluss benötigt, sondern einen regulären Ausbildungsabschluss. Das ist für uns ein spannendes Recruiting-Metier, da der Bewerbermarkt immer enger wird und jeder denkt, es wäre einfach, einen Elektriker zu finden – ist es aber nicht! Und wir möchten gerne auch aufzeigen, wie spannend diese Zielgruppe ist und wie anspruchsvoll und schwierig es ist, für diese Zielgruppe zu rekrutieren, aber auch wie viel Spaß das machen kann!
SM:Danke für den Einblick: was zeichnet eine Fachkraft für euch aus? Wodurch unterscheidet sich diese von den anderen Arbeitnehmern? Gibt es von deiner Seite noch eine Ergänzung, Jana?
JW:Eine Fachkraft zu sein bedeutet für uns, eine abgeschlossene Ausbildung, und teilweise auch schon Berufserfahrung zu haben sowie – und das zeigt auch die Wichtigkeit der Fachkräfte – Teil unseres Kerngeschäfts zu werden. Wir reden also ganz klassisch über Lokführer, aber natürlich auch über Gleisbauer oder Oberleitungsmonteure, weil wir nicht nur die Züge fahren, sondern auch die Gleise verlegen und instandhalten. Darüber hinaus suchen wir für unsere Instandhaltung auch Personal mit einer technischen Berufsausbildung wie zum Beispiel Elektroniker, Mechatroniker, Schlosser und ähnliches. Fachkräfte machen einen sehr großen Teil unserer Belegschaft aus. Und dadurch wird und ist die Herausforderung auf dem aktuellen Arbeitsmarkt für uns in diesem Bereich groß.
SM:Da würde ich gleich noch einmal anknüpfen da ihr beide gesagt habt, dass das Thema für euch eine große Relevanz, sich der Arbeitsmarkt so stark verändert und sich im Laufe der Jahre die Rekrutierung der Fachkräfte gewandelt hat da der Bedarf mittlerweile ein ganz anderer ist als früher. Die Zielgruppe wächst ja nicht. Wie wurden denn früher die Fachkräfte bei der DB rekrutiert und wie ist es heute? Welche Unterschiede sind im Vergleich für euch auszumachen?
JW:Was man generell ganz stark sieht auf dem aktuellen Arbeitsmarkt und im Recruiting-Geschäft für Fachkräfte, ist der Wechsel vom Arbeitgebermarkt hin zum Arbeitnehmermarkt. Es ist nicht mehr so, dass der Arbeitgeber sich darstellen kann und der zukünftige Arbeitnehmer - sprich Bewerber - muss sich darum bemühen, dem Unternehmen zu gefallen. Vielmehr geht inzwischen ganz stark dahin, dass wir als DB unseren Zielgruppen erklären, was genau hinter unseren Berufsbildern steht, wie ihr Berufsalltag konkret aussehen könnte und welche Benefits, die für sie relevant sind, wir als großer Konzern anbieten können.
Gerade bei den Fachkräfteberufen ist die Rekrutierung insofern herausfordernd, da es immer weniger Menschen gibt, die eine klassische Ausbildung machen möchten, es herrscht eine hohe Akademisierung, immer mehr Menschen gehen auf die Universität. Aus diesem Grund müssen wir schauen, dass wir die Bedürfnisse unserer Zielgruppen verstehen, um sie mit für sie relevanten modernen Anspracheformaten und entsprechenden Personalmarketingaktivitäten für uns gewinnen können. Das ist ein enormer Wandel, denn vor ein paar Jahren war es weniger entscheidend als heute, die Attraktivität sowie die Vorteile der Jobs so sehr herauszuarbeiten.
SM:Vor dem Hintergrund der Digitalisierung würde mich interessieren, wo ihr heutzutage die Fachkräfte findet? Ist diese Zielgruppe online oder sind dies Menschen, die eher auf eine traditionelle Art und Weise ihr Glück suchen. Früher gab es für Fachkräfte einen geradlinigen Weg: ich beende die Schule, begebe mich danach in eine Ausbildung und arbeite in diesem Beruf sicher bis zur Rente. Heutzutage ist das oft nicht mehr so, also welcher Wandel hat sich beim Fachkräfte Recruiting durch die Digitalisierung durch eure Arbeit gezogen?
JW:Ich wünschte, ich könnte die Frage direkt beantworten mit „Wir finden unsere Zielgruppe an Ort A“, denn dies würde unsere Arbeit leichter machen, aber leider ist es nicht so. Wir merken immer wieder, zum Beispiel durch Marktforschung in diesem Bereich, dass die Zielgruppe unglaublich heterogen ist. Wir müssen alle Kanäle bespielen. Es gibt Menschen, die wir natürlich online abfangen, etwa viele Berufserfahrene, die ein großes Interesse daran haben, sich zu beruflich zu entwickeln und sich auf der Karriereseite informieren. Wir haben aber auch Jobs, die teilweise in die Kategorie „Helferjobs“ fallen, und diese finden wir eher durch einen Aushang im Supermarkt an der Kasse. Für alle Kanäle gilt dabei, die Bewerber mit passenden Attraktivitätsattributen anzusprechen. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Denn es stellt sich die Frage: Was ist für wen spannend und wichtig und wie gewinnen wir sie genau damit für unseren Konzern?
TL:Der klassische Weg war, dass wir bestimmte Menschen mit bestimmten Abschlüssen gesucht haben und diese schon bestimmte Qualifikationen mitbringen. Was aber mittlerweile immer wichtiger wird, ist, unterschiedliche Menschen ganzheitlich zu begleiten: Stichwort Quereinstieg. Einfach mal etwas ganz anderes machen, eine neue Chance wahrnehmen. Und auch dabei unterstützen wir die Leute! Was für unsere tägliche Arbeit ganz wichtig ist, ist, dass wir versuchen herauszufinden, wie ticken die einzelnen Leute, welche Zielgruppe können wir uns neu erschließen, dabei auch das Geschäft mitzunehmen, da natürlich die Führungskraft vor Ort auf die Reise mitzunehmen. Wir beleuchten auch das Thema Mindset: Was bewegt einen Menschen in seinem Berufsleben? Welche anderen Wege könnte man auch mal einschlagen? Weiterentwicklung oder lebenslanges Lernen sind Kernkompetenzen in der digitalen Ära.
SM:Ich finde das Thema Quereinstieg sehr spannend. Seit vielen Jahren gibt es eine Debatte um den Fachkräftemangel, bspw. in der Pflege, Schulwesen usw. Es gibt aber auch Stimmen, die den Quereinsteiger als „halben Mitarbeiter“ abstempeln, nicht qualifiziert genug und dass dieser im Endeffekt Arbeitsbereiche übernimmt, die „niemand machen möchte“. Ganz provokativ gesprochen. Glaubt ihr, dass sich die Menschen, die sich für einen Quereinstieg bei der DB interessieren, richtig abgeholt fühlen oder denkt diese Zielgruppe vielleicht auch: „Ich kann nur das werden.“ Und seht ihr euer Angebot als Einstieg, auf dem man zukünftig aufbauen kann?
JW:Quereinsteiger haben für uns eine große Bedeutung und natürlich bieten wir eine Expertise im Quereinstiegsprogramm, denn sie sind in unseren Geschäftsfeldern stark verankert und die Integration dieser Zielgruppe findet seit Jahrzehnten erfolgreich statt. Die Diversität der Menschen, welche bei uns eine Ausbildung gemacht haben und derer, die als Quereinsteiger hinzukamen, ist für uns als Unternehmen auch wertvoll, weil verschiedene Erfahrungen und Sichtweisen zusammenkommen. Zudem bieten wir als Konzern auf diese Art und Weise all denjenigen eine interessante und attraktive Möglichkeit, nochmal ganz neu in einen spannenden Beruf der Deutschen Bahn zu starten.
SM:Spannend. Wie sorgt denn die Deutsche Bahn selbst für den Fachkräfte-Nachwuchs? Euer Wunsch ist es sicher auch, viele Auszubildende zu gewinnen, die im besten Fall bis zur Rente bei euch zufrieden arbeiten.
TL:Neben dem klassischen Direkteinstieg und dem Quereinstieg ist die klassische duale Berufsausbildung bei der DB enorm wichtig. Dabei werfen wir einen genauen Blick auf verschiedene relevante Fragen: Wie sieht der perfekte Mitarbeitermix für uns aus? Wie viele Personen können wir selbst ausbilden? Wie viele Mitarbeiter holen wir uns extern? Die DB stellt pro Jahr knapp 4.000 Azubis ein, die wir entwickeln mit der Perspektive, dass dies ein Einstieg ist, sich unsere Jobs aber weiterentwickeln - auch im Zuge der Digitalisierung. Denn die, die wir einstellen, bilden wir auch stetig weiter, das ist sogar tarifvertraglich verankert.
JW:In Bezug auf Mitarbeiterbindung und Arbeitgeberattraktivität hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Seit 2018 können wir etwa das DB-Wahlmodell anbieten. Der Mitarbeiter kann entscheiden, ob er 6 Tage mehr Urlaub, 2,5% mehr Geld oder 1 Stunde weniger Arbeitszeit in der Woche möchte. Gerade mit diesen flexibleren Modellen, die auf individuelle Bedürfnisse eingehen, können wir Mitarbeiter zusätzlich binden, neben anderen klassischen Maßnahmen wie Weiterbildungen, Qualifizierungen usw.
SM:Da der Fachkräftemangel eine Zielgruppe erschaffen hat, die händeringend gesucht wird, stellt sich die Frage: wie haben sich die Anforderungen und Bedarfe dieser Zielgruppe dem AG gegenüber geändert, da sie um Ihren hohen Wert wissen? Welche Kriterien müsst ihr mittlerweile als AG erfüllen?
JW:Ein sehr wichtiges Kriterium für diese Zielgruppe ist Sicherheit. Sicherheit bedeutet, „entspannt“ in die Zukunft zu schauen und nicht nur befristet angestellt zu sein. Eine unbefristete Anstellung in Vollzeit ist ihnen wichtig. Nicht alle Unternehmen können diese Sicherheit gewährleisten. Es ist aber auch kein Geheimnis, dass das Thema Gehalt eine wichtige Rolle spielt. Jede Fachkraft, die z.B. vor Jahren eine größere Anschaffung wie z.B. eine Immobilie getätigt hat, möchte auch sichergehen, dass er diese weiterhin abbezahlen kann. Neben dem Wahlmodell bieten wir attraktive Sozialleistungen und eine betriebliche Altersvorsorge.
SM:Welche neuen Kanäle nutzt ihr mittlerweile zur Rekrutierung der Fachkräfte? Wie steht ihr zu Social Media, Active Sourcing, Business-Netzwerke wie XING oder LinkedIn oder sind die klassischen Stellenausschreibungen der Schlüssel in diesem Segment? Wo habt ihr am meisten Erfolg?
JW:Dafür haben wir ein Digitales Marketing Team aufgebaut. Darüber werden Posts auf den Social-Media-Kanälen gestreut und hier merken wir einen großen Effekt im Bereich Employer Branding: Wie wirke ich als Arbeitgeber am Markt? Ich habe ein aktuelles Beispiel für den Erfolg der Rekrutierung von Lokführern, eine sehr kleine Zielgruppe: Der Bewerber geht auf eine von uns entwickelte moderne Landingpage, die es auch als Mobilevariante gibt, und kann dort seine bzw. ihre aktuellen Beschäftigungsbedingungen mit denen der DB „challengen“. Der Besucher agiert mit einer „Tinderlogik“ – wischen nach rechts oder links, was habe ich, was habe ich nicht – bzw. einem leisen Gamification-Ansatz. Dieses innovative Tool haben wir aktuell getestet und eine gute Resonanz erhalten. Das kommt gut bei der Zielgruppe an. Auch, wenn man denkt, die Zielgruppe Fachkräfte wäre gar nicht so mobil, aber heutzutage hat der Großteil ein Smartphone und ist online.
Thema klassische Stellenausschreibungen: Wie schreiben wir aus? Diesem Thema widmen wir uns jetzt schon, aber auch in Zukunft sehr stark. Worauf springt die Zielgruppe wirklich an? Was sind gewisse Keywords, die wir vielleicht zum Teil schon haben, aber wie können wir diese so schärfen, dass sich jede Fachkraft in der Ausschreibung wiederfindet.
Active Sourcing ist in diesem Bereich anders zu betrachten. Sind die Fachkräfte wirklich auf XING und LinkedIn? Da waren wir erst nicht sicher. Eine Handvoll Leute ist aber auch schon dort zu finden. Aktuell machen wir einen Piloten im Active Sourcing Team, die optionale Plattformen recherchieren und analysieren, auf denen man ebenfalls Fachkräfte ansprechen kann. Unsere Leitfrage ist immer: Mit welchen innovativen Maßnahmen und über welche Netzwerke können wir die Zielgruppe noch rekrutieren, gezielt ansprechen sowie die Vorteile der Deutschen Bahn näherbringen?
SM:Denkt ihr, dass euch die Digitalisierung und die damit einhergehenden Änderungen wie bspw. KI oder Liquid Design die zukünftige Rekrutierungsarbeit erleichtern? Oder wo seht ihr zukünftig noch Hürden, die ihr überwinden möchtet?
JW:Wir stecken ja mitten in der Digitalisierung der Bahn und der Schiene. Dies wirkt sich natürlich auch auf unsere Rekrutierung aus. Die DB stellt so viele Menschen ein wie nie zuvor, über 20.000 allein 2018. Der Konzern wächst und viele gehen in den Ruhestand. Klar ist: Die Fachkräfte „von morgen“ brauchen einfach andere Kompetenzen in einer digitalen Welt.
Die Herausforderung ist, alle Leute, die wir bereits haben, aber auch die Menschen, die wir noch für uns gewinnen müssen, auf diesem Weg der Transformation mitzunehmen. Die DB bietet ihren Mitarbeitern auf dem Weg in die Arbeitswelt der Zukunft gute und faire Rahmenbedingungen: Es gilt ein Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung, sollten sich Beruf und Tätigkeit durch die Digitalisierung verändern. Die DB entwickelt schon heute ihre Berufe gemeinsam mit Arbeitsnehmervertreter weiter, um Ausbildung und Qualifizierung fit für eine digitale Zukunft zu machen.
SM:Die Digitalisierung schürt natürlich bei solchen Arbeitnehmern auch die Sorge, dass durch Automatisierung und KI ihre traditionellen Berufe wegfallen, weil sie durch Maschinen ersetzt werden (könnten). Ich möchte dazu kurz Daniel Mühlbauer einwerfen, der auf einer Veranstaltung zitierte: „Maschinen erleichtern unsere Arbeit, aber sie haben auch eine Seele und das ist der Mensch.“ Meine abschließende Frage an euch lautet: wird eine Synergie zwischen Maschine und Mensch die Zukunft bestimmen, wenn es um erfolgreiches Recruiting geht?
TL:Bei der Deutschen Bahn steht immer das Kandidatenerlebnis im Vordergrund und wenn uns dabei KI helfen kann, durch den Einsatz von Chatbots, die eine permanente Erreichbarkeit gewährleisten, oder wenn es darum geht, den Bewerbungsprozess zu vereinfachen und wir dadurch dem Recruiter Kapazitäten freischaufeln können, damit sich dieser mehr auf die Beziehung zum Kandidaten konzentrieren kann, dann haben wir ein großes Interesse daran, diese Dinge zum Einsatz zu bringen. Es geht um die Steigerung unserer Effizienz, ja, aber in erster Linie geht es darum, durch Technologie mehr Zeit zu haben für den Kandidaten. Denn, ich denke, jeder möchte persönlich mit einem Menschen sprechen, wenn es um seine persönliche Zukunft geht und nicht mit einer Maschine. Man braucht Menschen, die persönliche Interviews führen, verkaufen und erzählen können, worum es wirklich geht, wenn man einen neuen Job sucht und was ich gewinne, wenn ich den Job wechsle.
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