The Real Candidate Experience – wenn man Kandidaten zu Wort kommen läßt, wird’s plötzlich dunkel

Hat HR die Zielgruppen noch im Blick?

So ähnlich wie bei dem Thema Mobile Recruiting scheinen Personaler auch andere Themen gern konsequent zu ignorieren. Ingenieurs- und Fachkräftemangel fällt vielerorts eher in die Kategorie „Einstellungssache“. Ob dieser tatsächlich Realität ist oder nicht, sei einmal dahingestellt. Was aber mit oder ohne Mangel gut laufen sollte, sind Themen wie Wertschätzung und Respekt. Je nach Organisationsstruktur ist es sicherlich unterschiedlich leicht, einheitliche Standards durchzusetzen, aber die nachfolgenden Schilderungen eines/r Absolventen/in sollten definitiv nicht vorkommen.

Eigentlich war es Zufall, dass ich von den Geschichten erfahren habe. Es freut mich daher umso mehr, dass ich sie auf meinem Blog veröffentlichen darf. Die einzige Bitte war, dass ich den Namen nicht nenne. Dem bin ich gern nachgekommen.

Aber nun lassen wir einmal die Zielgruppe zu Wort kommen und die Real Candidate Experience:

 

Ich stehe kurz vor meinem Abschluss im Maschinenbau (M.Sc.) an einer technischen Universität und bin nun bereits seit einigen Monaten intensiv auf der Suche nach einem attraktiven Einstieg in das Berufsleben, um die Zeit zwischen Studium und Berufsstart so kurz wie möglich zu halten.

Meinen Lebenslauf schmücken sehr gut Noten, Praktika bei namhaften Unternehmen, ein stipendiengefördertes Auslandsstudium, verantwortungsvolles mehrjähriges ehrenamtliches Engagement und diverse anspruchsvolle Jobs neben dem Studium.

Bei der Jobsuche habe ich die unterschiedlichsten Wege genutzt, um mich über Unternehmen zu informieren und um mich bereits vor der eigentlichen Bewerbung vorzustellen. Dazu zählen unter anderem Firmenkontaktmessen (bonding, VDI, Hochschulen), Unternehmensführungen, Bewerberseminare, Xing, Facebook, ingeneurkarriere.de, Stepstone, Jobsuma, Kununu, Branchenverzeichnisse und –bücher.

Ingenieurmangel? – Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Ich bin sehr motiviert und positiv gestimmt in die Jobsuche gestartet, denn in nahezu allen Medien wird proklamiert, dass in Deutschland gut ausgebildete Ingenieure gesucht werden. Die Jobchancen sind hervorragend, die Einstiegsgehälter klettern nach oben, den Jungingenieuren stehen die Türen offen. Sie können sich quasi den Job aussuchen und dabei auch noch gut verhandeln.

Das jedenfalls war der Eindruck, den ich durch meine Studienzeit eigentlich von allen Seiten vermittelt bekommen habe.

Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Ja, es werden Ingenieure gesucht, es gibt tatsächlich viele Stellen. Guckt man sich diese aber einmal genauer an, dann stellt man fest, dass nahezu keine Stelle für Berufseinsteiger ausgeschrieben ist. Tatsächlich wird meistens mehrjährige Berufserfahrung vorausgesetzt und das auch noch in einem speziellen Fachgebiet.

Sind Unternehmen überhaupt an Absolventen interessiert?

Daraus kann ich drei Dinge schlussfolgern:

  1. Entweder die meisten Unternehmen suchen gar keine Nachwuchskräfte.
  2. Oder die meisten Unternehmen suchen schon, wollen aber kein Risiko eingehen, lassen lieber andere erst einmal die Auswahl machen und werben dann später ab.
  3. Oder die meisten Unternehmen schreiben es in die Ausschreibung, einfach, um die Bewerber abzuschrecken, sodass sich nur die bewerben, die sehr selbstbewusst sind.

Welche Aussage hier nun zutrifft, möchte ich unbeantwortet lassen.

Für das Finden einer Stelle und das Verfassen einer Bewerbung vergehen dutzende Stunden

Für die Erstellung einer vollständigen Bewerbung benötige ich schätzungsweise zwei bis drei Stunden. Dazu zählt die Anpassung des Lebenslaufs, Recherche über die Angebote und Alleinstellungsmerkmale des zukünftigen Arbeitgebers und nicht zuletzt die Verfassung des Anschreibens. Dazu kommen die stundenlangen Bemühungen auf den oben genannten Plattformen, die dem Finden einer passenden Stelle vorangehen.

Häufig müssen in online-Formularen, zusätzlich zum Upload des Lebenslaufs, alle Einträge des Lebenslaufs noch einmal einzeln eingetragen und lange Listen mit Soft- und Hardskills ausgefüllt werden.

Habe ich mich schließlich durch den langen Prozess gearbeitet und die Bewerbung abgeschickt, erlebe ich die unterschiedlichsten Reaktionen auf meine Bewerbung. Ja, es gab auch sehr kompetente und zügige Antworten, meistens ließ der Umgang mit mir allerdings zu wünschen übrig.

Angemessene Kommunikation mit dem Bewerber fehlt leider oft

Hier sind ein paar Beispiele, die ich während der letzten Monate erlebt habe:

  1. Bewerbung bei einer weltweit bekannten Zertifizierungsgesellschaft.Eine schriftliche Bewerbung eingereicht. Nach 5 Wochen habe ich das erste Mal angerufen, um nach dem Status zu fragen. Dies wurde mit der Aussage "die verantwortliche Person ist nicht im Haus [] es könne noch Wochen dauern" beantwortet.
    Nach weiteren 2 Wochen und weiteren Telefonaten kam schließlich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Die Einladenden haben ein sehr nüchternes Gespräch geführt, eine Antwort sollte es gleich in der folgenden Woche geben.
    Nachdem weitere drei Wochen vergangen waren, rief ich erneut an. Auf die Frage nach dem Status der Bewerbung konnte wieder keine Aussage gemacht werden. Stattdessen wurde patzig geantwortet, dass die verantwortliche Person gerade nicht da sei, man ihre Telefonnummer auch nicht weiterreichen könne und man sowieso auch noch andere Dinge zu tun hätte.Mit dieser Reaktion habe ich beschlossen, mich nicht weiter mit dem Unternehmen auseinander setzen zu wollen. Mein Eindruck wurde auch durch die Bewertung bei Kununu bestätigt.Hier stimmte der Umgang mit dem Bewerber überhaupt nicht.
  2. Bewerbung bei einem Ingenieurbüro für Simulationen und Berechnungen.Die online Bewerbung wurde eingereicht und noch am selben Tag kam die erste sehr interessierte Rückmeldung per Email. Es folgten zahlreiche Emails, in denen detaillierte Qualifikationsfragen gestellt und beantwortet wurden. Nach etwa 2 Wochen wurden ohne erkennbaren Grund plötzlich keine meiner Emails mehr beantwortet.
    Im Nachhinein denke ich, hatte ich für die ausgeschriebene Stelle nicht ausreichend Berufserfahrung, oder meine Softwareskills habe nicht optimal gepasst. Aber dennoch hätte ich mich über eine freundliche Absage sehr gefreut.Auch dieses Unternehmen wird mir negativ im Hinterkopf bleiben.
  3. Bewerbung bei einem Ingenieurbüro für Sondermaschinenbau und Dienstleistungen.Die Bewerbung wurde online eingereicht. Am Folgetag habe ich 30 Minuten mit dem verantwortlichen Personaler telefoniert. Das Telefonat war sehr positiv und erfolgsversprechend.
    Nach 8 Wochen gab es weder eine Eingangsbestätigung der Bewerbung noch eine Email mit dem Hinweis, dass die Bearbeitung noch andauern könnte.
    Als ich anrief, sagte man mir, dass die Anzeige (eingestellt Mitte März für einen Maschinenbau-Ingenieur ab sofort) bis Ende des Jahres gelte und man im Laufe der Zeit schauen möchte, welche Personen man einlädt.Das ist aus Unternehmenssicht sicherlich von Vorteil, da man schauen kann, was der Markt im Moment bietet. Aus Bewerbersicht allerdings fühlt es sich sehr unsportlich an.
  4. Teilnahme an einer sechsstündigen Unternehmensführung und -vorstellung eines namhaften Logistikunternehmens.Geworben wurde mit Stellen "in allen Bereichen, insbesondere im Maschinenbau", "Direkteinstieg, Trainee, Praktikum". Nach der langen Führung (die sehr gut war), stellte sich dann allerdings heraus, dass lediglich Praktikanten gesucht werden. Und hauptsächlich für die Logistik. Weder Praktikum, Traineestellen, noch Direkteinstiege sind im Maschinenbau bis mindestens Ende 2014 verfügbar. Außerdem werde erst intern ausgeschrieben und wenn die Frist abgelaufen ist, würde eine Anzeige für extern gestellt. Ein Direkteinstieg ohne Praktikum ist auch „eher selten“ möglich.Das heißt für mich, hier kommt man nur mit Vitamin B rein! Eine gewöhnliche Bewerbung ist beinahe aussichtslos. Außerdem ist die Aussage, es gebe Direkteinstiege für Berufseinsteiger im Maschinenbau schlicht eine Lüge.
  5. Teilnahme an einer 3 stündigen Unternehmensführung und -vorstellung bei einem namhaften Flugzeugausstatter.Das Unternehmen wurde sehr positiv beworben: Die Mitarbeiter erhielten Sonderauszahlungen, da die Finanzlage momentan äußerst gut sei. Es seien Projekte für mindestens 5 Jahre vorhanden. Zusammenfassend gehe es dem Unternehmen im Moment sehr gut.
    Einstiegsmöglichkeiten gibt es allerdings keine. Es bestehe Einstellungsstopp. Ausschließlich über Dienstleister könne man noch in den Hallen arbeiten. Dann, haha (ein leichtes Lachen), natürlich zu anderen Konditionen....Da bleibt mir nur zu sagen: Vielen Dank für die Führung!

Höchsten Respekt und Perfektion erwarten die Unternehmen von den Bewerbern. Gilt das umgekehrt genauso?

Für das Finden der Jobs, das Erstellen der Bewerbungen und die anschließende Kommunikation habe ich dutzende Stunden aufgewendet und bin immer mit höchstem Respekt und Anstand aufgetreten.

Dann auf patzige Personaler oder seltsame Bewerbungsstrategien zu stoßen und auf unterschiedliche Weise abgewiesen zu werden, empfinde ich als sehr unbefriedigend. Insbesondere die Aussage "man habe ja auch noch andere Dinge zu tun", kann ich nicht akzeptieren!

Die Bewerbungsphase ist ein Wettbewerb – man muss es sportlich sehen!

Die Bewerbung bei Unternehmen ist wie die Teilnahme an einem Sportwettbewerb. Man muss sich gut vorbereiten, den Wettkampf nicht scheuen und wenn man der Beste ist, steht man am Ende auf dem Treppchen. Ist man es nicht, dann muss man die Sache sportlich sehen und es weiter probieren.

Was ich allerdings von einem Unternehmen erwarte, ist Fairplay und Ehrlichkeit! Wenn nicht klar ist, wie lange die Durchsicht der Bewerbungen dauert, dann soll es mir bitte zügig mitgeteilt werden. Kann ich frühzeitig ausgeschlossen werden, dann möchte ich bitte auch eine frühe Absage erhalten. Steht schon früh fest, dass ich eine Runde weiter bin, dann teile man mir das auch bitte rechtzeitig mit. Schließlich bewerbe ich mich nicht nur bei einem einzigen Unternehmen.

Nicht nur im Privatleben wird „The Game“ gespielt – auch Unternehmen tun es!

Heute ist mir aus erster Hand zu Ohren gekommen, dass manchen Unternehmen bereits klar ist, wen sie zu einem Vorstellungsgespräch einladen, es allerdings der Person noch nicht mitteilen, um ihre Verhandlungsbasis zu verbessern. Würden sie sofort antworten, stünden sie womöglich so dar, als bräuchten sie den Bewerber sehr und dieser könnte dann womöglich zu hohe Forderungen stellen. Das erinnert mich eher an einen Dating-Ratgeber, als ein eine professionelle Arbeit.

Auch mit einer Absage kann das Unternehmen positiv in Erinnerung bleiben

Ich wünsche mir einen fairen Umgang mit den Bewerbern, denn die Bemühungen einer Bewerbung sollten mit Respekt behandelt werden, schließlich landen irgendwann alle Bewerber irgendwo auf dem Arbeitsmarkt und werden sicherlich aus ihren Erfahrungen während der Bewerbungszeit ihre Schlüsse ziehen und später danach handeln.

Das Fazit – die Unternehmen sitzen am längeren Hebel

Das Traurige ist, wenn ich mich bei meinem Traumarbeitgeber (wobei dieser Begriff dann noch zu diskutieren wäre!) bewerbe, und der mit mir umgeht, wie ein Anrufer in einer teuren Telefonwarteschleife, werde ich trotzdem nach monatelangem Warten und patziger Antworten „ja“ sagen. Schließlich spiegelt der Umgang während der Bewerbungsphase nicht den Ton in meiner zukünftigen Abteilung wieder … oder doch?

 

Vielen Dank für die Einblicke! Die Schilderungen sind, denke ich, kein Einzelfall und was mich persönlich  betrübt, ist, dass ich nicht überrascht war, als ich die Beispiele zum ersten Mal hörte. Wenn man das liest, muss man wohl doch Henrik Zaborowski (siehe HR Battel) recht geben. Wenn Personaler sich wie die letzten Anfänger im Recruiting verhalten, dann ist der Fachbereich als Recruiter wohl doch die bessere Wahl.