Jobsharing auf Top Management Ebene unmöglich? DB Netz AG beweist das Gegenteil

Carola Garbe und Catherine-Marie Koffnit

Mit dem Thema New Work beschäftige ich mich intensiv, seitdem ich Vater geworden bin und aus diesem Grund die Spielwiese des Konzerns verlassen habe. Wie lassen sich moderne Anforderungen an das Leben mit den Herausforderungen eines Unternehmens kombinieren. Vor drei Jahren gab es für mich lediglich den Weg in die Selbstständigkeit. Seit 3 Wochen bin ich nun wieder in einem Unternehmen und muss sagen, dass sich in den vergangenen knapp 4 Jahren einiges getan hat. Trotzdem scheinen es noch Einzelfälle zu sein, wie der den wir heute im Interview haben.

Catherine-Marie Koffnit, 44 Jahre, Juristin, ist seit zehn Jahren im DB Konzern – drei Jahre davon hat sie ein strategisches Konzernprojekt geleitet. Vor dem Topsharing war sie bereits zweieinhalb Jahre im Team von Carola Garbe als Leiterin HR des Geschäftssitzes mit 1.600 Mitarbeitern.

Carola Garbe, 55 Jahre, Wirtschaftsingenieurin, ist seit 38 Jahren im DB Konzern, seit 2003 als Führungskraft in HR Verantwortung. Im November 2011 hat sie die alleinige Leitung des HR Managements des Regionalbereiches Ost der DB Netz AG mit fünf HR Leitern übernommen.

Seit März dieses Jahres führen die beiden gemeinsam den HR Bereich der DB Netz AG im Regionalbereich Ost – also von Rügen bis Lutherstadt Wittenberg, von der polnischen Grenze bis Oebisfelde, mit 4.600 Mitarbeitern und großen Standorten in Cottbus, Schwerin, Neustrelitz und Berlin.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, euch den Job zu teilen und welche Hürden waren zu meistern?

Die Idee war eine sehr persönliche und beeinflusst durch aktuelle Entwicklungen, die wir wahrnehmen. Immer mehr Führungskräfte sind erschöpft und überlegen, zu kündigen. Junge Führungskräfte sind nur bedingt bereit, die arbeitszeitlichen Einschränkungen, die eine obere Führungsfunktion mit sich bringt, in Kauf zu nehmen. Nicht zuletzt hat unser Privatleben durch den Job stark gelitten: Private Termine brauchten oft einen Vorlauf von drei Monaten. Das minimiert irgendwann den Freundeskreis. Auch einige Todesfälle im direkten Umfeld haben uns über unser eigenes Verhältnis zwischen Selbstbestimmtheit und Job reflektieren lassen.

Zunächst haben wir über Teilzeit nachgedacht. In einem Job in der Ebene ist das allerdings kaum umsetzbar: Ständige Dienstreisen und fremdbestimmte Termine sind die Regel. Dann sind wir auf Jobsharing gekommen und haben uns intensiv mit dem Thema beschäftigt. Aus einer persönlichen Entscheidung ist so eine Strategiediskussion entstanden. Wir waren und sind Feuer und Flamme, weil wir damit etwas wirklich Neues in so einen großen, etablierten Konzern wie die DB bringen können.

Es wirkt eher ungewöhnlich sich in so einer hohen Position auf das Thema Jobsharing einzulassen. Was braucht es, damit das funktioniert?

Uns war von vornherein klar, dass wir viel miteinander sprechen müssen. Zuallererst über unser persönliches Verhältnis. Das sollte unbedingt erhalten bleiben, damit wir auch schwierige emotionale Themen ehrlich diskutieren und meistern können. Wir haben unsere Motivationen offen thematisiert, die emotionale Situation vorher mehrmals durchgespielt und eventuelle Fallstricke benannt.

Man muss Macht abgeben können und lernen, andere Herangehensweisen und Lösungen zuzulassen. Neben uneingeschränktem Vertrauen in den Jobsharing-Partner ist eine gewisse Uneitelkeit Grundvoraussetzung.

Wie sieht euer Alltag aus und welche Tools nutz ihr, um diesen zu meistern?

Wir haben ein Wochenmodell gewählt, damit wir möglichst zusammenhängende freie Tage haben. Am Montag ist Übergabetag, danach hat in der geraden Woche Carola Garbe und in der ungeraden Woche Catherine-Marie Koffnit frei. Für unsere Mitarbeiter gibt es an der Tür einen kleinen Sticker. So wissen alle direkt wer da ist.

Der Montag hat eine klare Struktur: Er beginnt mit einem gemeinsamen Frühstückstreffen außerhalb des Büros. Danach haben wir Jour Fixe mit der Assistentin und unserem Vertreter. Wir dokumentieren unseren Tagesablauf während der Arbeitswoche jeden Abend, damit die andere bei Bedarf später nachschauen kann. Dabei geht es vor allem um emotionale Zwischentöne. Die Fachthemen finden sich problemlos im Kalender oder in der Mail.

Als "Notizbuch" nutzen wir eine App, die wir von überall auf dem Handy bedienen können und dank der man sofort sieht, was neu ist. Bei manch anderen IT-Anwendungen stehen wir vor der Herausforderung, dass sie personifiziert sind und nur von einer Person genutzt werden können. Da wünschen wir uns bei den Entwicklern mehr Aufmerksamkeit für solche Arbeitsformen!

Gut funktioniert die Büro-Organisation: Wir haben eine gemeinsame Mailadresse, gemeinsame Visitenkarten und klare Regeln bei der Ordnerstruktur und Ablage. Die Ablage sortiert nur unsere Assistentin, damit wir nicht mit verschiedenen Maßstäben einordnen.

Wie ist euer Topsharing im Konzern verankert?

Es ist ein einjähriges Pilotprojekt bei der DB, das wir begleiten und evaluieren lassen:
Die Stakeholder, also unsere Kollegen auf Regionalbereichsebene und die Kollegen aus der Zentrale binden wir beispielsweise über eine standardisierte anonyme Befragung ein. Diese findet insgesamt dreimal statt - zu Beginn, jetzt zur Halbzeit und zum Ende hin.

Für die Begleitung des Teams haben wir als Feedbackinstrument "Teambay" gewählt. Alle drei Wochen (damit immer eine andere von uns im Gedächtnis ist) werden die Fragen von unserem Changemanager und der Assistentin erarbeitet. Die Mitarbeiter und HR Leiter-Kollegen geben sehr ehrliches und qualifiziertes Feedback. Da schlucken wir manchmal. Die Antworten veröffentlichen wir für alle und diskutieren sie in unserer Strategiesitzung mit dem gesamten Team. Ein Resultat ist, dass wir jetzt die Teamzusammenarbeit in kleinen Gruppen neu gestalten werden.

Euer Schritt beweist, dass Arbeiten 4.0 auch im Top Management geht. Viele haben lange behauptet, dass es bei Mitarbeitern ohne weiteres möglich sei, aber bei einer so wichtigen Führungsrolle man seinen Aufgaben nicht mehr gerecht werden könnte. Mit welchen Vorurteilen werdet ihr konfrontiert?

Es gab ja auch schon andere Vorreiter z.B. ChAn von Unilever. Wir haben mit einigen dieser Jobsharing-Paare vorher Telefoninterviews geführt und daher ein gutes Bild gehabt, wo eventuelle Fallstricke liegen könnten.

Unser Vorstand hat unser Vorhaben direkt unterstützt. Und auch sonst gab es wenig Kritik. Die meisten Führungskräfte haben erkannt, dass wir in unseren etablierten Führungskulturen etwas ändern und der nachfolgenden Generation einen Anreiz für Führung bieten müssen.

Manche müssen wir erst noch überzeugen. Durch unser Projekt wollen wir Äußerungen wie „Verantwortung ist nicht teilbar“ oder „Wenn man die Belastung nicht aushält, kann man eben keine Führungskraft sein“ widerlegen. Die vielfach verbreitete Angst, dass Jobsharing mit Karriereende gleichzusetzen wäre, können wir für uns entkräften: Wir haben heute eine Selbstbestimmtheit über unser Leben, die wir zuvor nicht hatten. Die Arbeitswelt 4.0 muss mit Diversität umgehen, davon sind wir überzeugt. Führung von mehreren Generationen (Ambidextrie) wird die Regel sein. Wichtige dabei: Kooperation statt Konkurrenz.

Wie reagieren die Mitarbeiter darauf? Gibt es das klassische Ausspielen auch auf eurer Ebene?

Diese Frage steht im Ranking aller Interviews auf Platz 1. Bei uns gibt es kein "Wenn Mama NEIN sagt, gehst Du zu PAPA." Das haben wir von Anfang an klargestellt. Es ist in dem Model gewollt, dass Mitarbeiter wie Führungskräfte die Kompetenzen von und persönlichen Kontakte mit uns beiden nutzen. Jeder von ihnen kann sich aussuchen, zu wem er mit seinem Anliegen kommt. Es muss nur allen klar sein, dass wir beide in der Übergabe darüber sprechen.

Heutzutage ist es doch oft so: Wer sich mit dem Chef nicht versteht, der verlässt das Unternehmen. Der Arbeitsmarkt macht es möglich. Dem können wir etwas entgegensetzten. Auch haben wir damit eine große Chance, Konflikte mit einem anderen Blickwinkel zu lösen. Die meisten unserer Mitarbeiter, überwiegend um die 30 Jahre alt, finden uns verrückt, aber toll.

Aus meiner Sicht verkörpert ihr eine neue Form des Top Managements. Macht ihr Führung damit wieder attraktiv, auch für die Generation der Zeitmillionäre?

Genau das ist unser Ziel. Wenn wir es vormachen und in großen Konzernen solche Modelle möglich sind, dann erhöht das die Arbeitgeberattraktivität. Wir erleben in unserem familiären und beruflichen Umfeld, dass für die Generation der Zeitmillionäre die etablierte Art der Arbeitszeitgestaltung keine Option mehr ist. Mit unserem Modell werfen wir auch ein bisschen die hierarchische Führung über Bord. Unsere Mitarbeiter werden selbständiger, treffen Entscheidungen selbst, organisieren sich eigenständig. Das macht Führung wieder interessant.

Wir beide sind derzeit nicht in der Situation, dass wir Beruf und Kinder gleichzeitig managen müssen. Trotzdem wird uns immer wieder gesagt, dass dies ein tolles Modell für Frauen mit Kindern sei. Wir finden: Das Modell passt für Väter und Mütter gleichermaßen – und für alle, die Karriere machen und trotzdem ein Privatleben haben wollen.

Vielen Dank für das Interview und eure Ehrlichkeit!!!